mercoledì, 1. giugno 2022
Da Cenk Akdoganbulut
Der Historiker Cenk Akdoganbulut widmet sich in seinem aktuellen Beitrag kulturalistischen Ausprägungen des Rassismus in der Schweiz: Ist es rassistisch von der Unterschiedlichkeit von Kulturen zu sprechen? Kommt der Rassismus von den rechtsextremen Rändern der Gesellschaft? Nach dem Zweiten Weltkrieg fand nicht nur ein Wandel des Rassismus, sondern auch des rechtsradikalen Spektrums statt. Die Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Entwicklungen werden aber oft unbeachtet gelassen.
Je stärker Rassismus mit Rechtsextremismus verbunden wird, umso heftiger fällt die Zurückweisung von Rassismusvorwürfen aus. Und immer wieder wird im politischen Diskurs der Vorwurf des Rassismus damit gekontert, wo nicht von «Rasse» die Rede ist, könne es auch keine rassistische Diskriminierung geben. Prominent wird etwa der Feststellung des antimuslimischen Rassismus entgegnet, dass kein Rassismus vorliegt, da es sich um eine Religion, nicht aber um eine «Rasse» handle.
Rassismus beinhaltete jedoch nie nur «biologisch-rassische» Elemente, sondern war ein Komplex von Bestandteilen der biologische «Rasse», Geschichte, Hautfarbe, Kultur, Mentalität oder Religion. Die Verengung auf einen strikt biologischen Rassismus als einzigen gültigen Definitionsinhalt geht einerseits theoretisch von der falschen Annahme aus, dass sich vom Begriff allein die Bedeutung ableiten liesse und ist andererseits auch empirisch falsch. Auch in der nationalsozialistischen Ideologie nahmen etwa die indische oder japanische Nation eine höhere Stellung als andere ein, da ihre Hochkulturen Beweis für ihre «rassische Grösse» seien. Es war also immer ein Wechselspiel zwischen «kulturellen» und «biologischen» Schwerpunkten, die sich nach historischen Bedürfnissen und Bedingungen des Rassismus als variabel und anpassungsfähig erwiesen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den Gräueln des Faschismus verlor der biologische Rassismus immer stärker an Ausstrahlungskraft. Die politische Rechte, die sich darauf bezog, sah sich zunehmend in die Marginalisierung gedrängt. Infolgedessen kam es zu einer diskursiven Verschiebung, in der man immer öfter von Kultur, Volk, Ethnie oder kultureller Identität sprach. Dass dabei diese neuen Begriffe lediglich als Signifikanten des alten Rassebegriffs ohne wesentliche semantische Aktualisierung fungierten, blieb nicht unbemerkt. Durchgesetzt haben sich in diesem Zusammenhang in der Forschung die Bezeichnungen «Neo-Rassismus», «Rassismus ohne Rassen» oder «kultureller Rassismus». Die Ursprünglichkeit wurde nicht mehr in natürlichen «Rassen» verortet, sondern von nun an in natürlich gewachsenen Kulturen, die man auch weiterhin sortieren und hierarchisieren konnte.
Metamorphosen des Rassismus
Auch in der Schweiz kann man diese Entwicklung gut an den Diskursmustern in den Abstimmungen der Befürworter:innen der so genannten Überfremdungsinitiativen sehen, die in der Schweiz eine regelrechte Tradition entwickelten. Die Schweiz gilt mit James Schwarzenbach und der Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat beziehungsweise den Schweizer Republikanern als Avantgarde des europäischen Rechtspopulismus.
Die Variabilität des Rassismus manifestierte sich im Abstimmungskampf um die Schwarzenbach-Initiative und den darauf folgenden Überfremdungsbegehren auf anschauliche Weise: Während in den 1970er Jahren gegenüber den Italiener:innen Zuschreibungen wie «temperamentvoll» und «laut» oder, dass die italienischen Männer den «schweizerischen Frauen auflauern» geläufig seien, konnten diese Stereotype in späteren Initiativen nahtlos auf Migrant:innen und Geflüchteten aus Ex-Jugoslawien, Anatolien und Nordafrika angewendet werden. Heisst also: Man sprach zwar von Kultur, die Brille aber, mit der man die Welt betrachtete, blieb dieselbe. Dabei galten die Italiener damals aufgrund einer ihnen zugesprochenen südländischen Natur als völlig inkompatibel mit der schweizerischen Eigenart und als nicht integrierbar. Als jedoch in den 1980er und 1990er Jahren vor allem Geflüchtete und Einwanderer aus dem Balkan und der Türkei kamen, wurde die religiöse Zugehörigkeit der Italiener zum Katholizismus positiv kontrastiert zur religiösen Herkunft der Neuangekommenen. Plötzlich behaupteten dieselben Parteien und Protagonisten, die vor einigen Jahren noch 350'000 Italiener ausweisen wollten, dass Katholiken grundsätzlich integrierbar seien, orthodoxe Christen und Muslime aber nicht.
Ab den 1980er Jahren wurde Kultur immer mehr zur Ordnungskategorie und der politische Diskurs über die Migrant:innen zunehmend über die Begrifflichkeiten «kulturnah» und «kulturfern» geführt. Selbst die staatliche «Ausländer- und Flüchtlingspolitik» war zeitweise daran orientiert, wie etwa das seit 1991 umgesetzte Drei-Kreise-Modell zeigt. Einen vorläufigen öffentlichkeitswirksamen politischen Höhepunkt erreichte die Kulturalisierung von Migranten in der 18%-Initiative des FDP-Politikers Philipp Müller, die den Anteil der «ausländischen» Bevölkerung in der Verfassung auf 18 Prozent fixieren wollte. Dabei wurde die ökonomische Motivation dahinter mit einer bestimmten sozialen Konstruktion der Migranten und ihrer Unerwünschtheit gerechtfertigt: «Die Leute aus den EU-Ländern standen uns kulturell weit näher und fügten sich ohne grössere Schwierigkeiten in die bestehenden Verhältnisse ein. Das kann von einem Grossteil der übrigen Einwanderer nicht gesagt werden.»
Einen Monat vor der Abstimmung nutzte Müller nochmals die Gelegenheit in einem Interview mit der NZZ die Notwendigkeit der Initiative zu begründen. Darin liess er sich über den Multikulturalismus aus, differenzierte allerdings zwischen «multikultureller Vielfalt» und «multikultureller Gesellschaft»: «Multikulturelle Vielfalt ja, das ist eine Bereicherung, auch ich esse gerne Pizza. Aber in einer multikulturellen Gesellschaft ist man sich nicht mehr einig über einen gemeinsamen Wertekonsens». Damit unterschied er akzeptable kulinarische kulturelle Einflüsse, lehnte aber die Anwesenheit von zu vielen «Ausländern» und eine «multikulturelle Gesellschaft» ab. Müllers Ablehnung der «multikulturellen Gesellschaft» lag eine Essenzialisierung der «Fremden» zugrunde: Er ging nicht nur von einer – für ihn ganz natürlichen – Dominanz der Schweizer über die Ausländer aus, deren Werte den schweizerischen unterlegen wären, sondern ent-individualisiert «die Fremden» und sieht sie primär als Teil ihrer Ethnie. «Sie kommen nicht als Menschen, sondern als kollektive Kultur», wie der deutsche Migrationsforscher Mark Terkessidis prägnant die neo-rassistische Sichtweise auf «die Fremden» beschreibt.
So wird den «Ausländern» ein nicht ablegbares Wesen oder eine Essenz zugeschrieben, die ihr Verhalten determiniert. In dieser essenzialistischen Sichtweise bleiben Migrant:innen auch nach Jahrzehnten noch Fremde und ihre Sozialisierung in der Schweiz kann daran nichts ändern. Nur insofern macht eben in der Logik von Müller auch die in der Tradition der Überfremdungsbegehren stehende 18%-Volksinitiative Sinn: Ausländer werden per se zu einer Bedrohung, weil ihre kulturelle Essenz ihnen auf ewig eingeschrieben ist. Dieses Beispiel demonstriert anschaulich, dass Kultur als Nachfolgebegriff von «Rasse» fungiert und wie stark kulturalistische Deutungsmuster bis in die Mitte der Gesellschaft dringen konnten, ohne in der breiten Öffentlichkeit als Rassismus wahrgenommen zu werden.
Die Entstehung einer «Neuen Rechten»
In den 1970er Jahren fand ein politischer Transformationsprozess im rechten Milieu statt. Jüngeren Generationen der extremen Rechten mit ihren unterschiedlichen Sozialisierungen, Wahrnehmungen und Realitäten fiel ihre Marginalisierung und Erfolglosigkeit auf. Sie nahmen die politische Sackgasse umso stärker wahr, als dass ihre linken Altersgenossen der Neuen Linken gerade dabei waren eine kulturelle Revolution in der Gesellschaft voranzubringen. Nicht mehr bereit die Einflusslosigkeit mit der emotionalen Satisfaktion zu den auserwählten, ideologisch reinen und wahren Rechten zu gehören zu kompensieren, formierte sich in diesen Jahren in Europa eine selbsternannte Neue Rechte. Diese so genannte Neue Rechte kennzeichnet sich dadurch aus, dass sie sich auf Theoriearbeit fokussiert, sich vorgeblich vom Faschismus distanziert und Brücken zum konservativen Establishment schlägt. Sie entdeckte also die Wissenschaft als politische Ressource und setzte auf (vermeintliche) Intellektualität und Wissenschaftlichkeit. Neurechte Intellektuelle versuchten ihre Theorien mit den neuesten Ergebnissen der Wissenschaft zu legitimieren und stiegen in den Kampf um die geistige Vorherrschaft in der Gesellschaft ein. Sie sahen den Kampf um die Köpfe als ihr Kampfterrain an, nicht das politische Alltagsgeplänkel. Zu ihrem Ziel proklamierte sie unter anderem die «Kulturrevolution von rechts».
Der Theoriehunger der 68er hatte also auch die Rechten ergriffen. Sie merkten einerseits, dass offen rechtsextreme Appelle in der Gesellschaft kaum Anklang fanden. Andererseits zeigte die Erfolglosigkeit extrem rechter und neofaschistischer Parteien, dass der Weg über die Parlamente ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden war. Es waren also andere Strategien erforderlich. Die Hinwendung zur Theorie ist in diesem Sinne nicht nur eine Anpassung an den Geist der 1968er, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen politischen Marginalisierung. Dieser Modernisierungsprozess resultierte in der Überlegung, dass es nun an der Zeit sei, als Intellektuelle zu wirken, als Vordenker, die geistige Wege ebnen, und nicht mit uniformierten Schlägertrupps unterwegs zu sein. In diesem Modernisierungsprozess fand keine wesentliche inhaltliche Modifikation ihrer Kernideologie statt, sondern eine strategische.
Aggressive Inhalte, zahme Verpackung
Eine Antwort der Neuen Rechten auf den gesellschaftlichen Wandel und ihre Erfolglosigkeit lag in der Entwicklung des Ethnopluralismus durch den deutschen Soziologen Henning Eichberg 1973 in der Bundesrepublik und dessen Weitentwicklung durch die französische Neue Rechte. Gemäss der Wortherkunft würde dies so viel wie Völkervielfalt bedeuten. Was zunächst einmal recht harmlos klingt, ist allerdings eine brutale Segregations- und Apartheidsvision. Im ethnopluralistischen Verständnis sind Kulturen unterschiedlich, aber zumindest vorgeblich gleichwertig. Interkulturelle Hierarchien werden gegen aussen abgelehnt. Allerdings haben Kulturen einen ihnen angestammten Lebensbereich, eine bestimmte Geografie, mit bestimmter historischer Tradition und auch ethnischer Substanz. Neue Rechte sprechen also lieber von ethnischer Substanz, von «nationaler Identität», Völkern oder Kulturen statt von «Rassen». Das war allerdings nicht von Anfang an so: noch in den 1970er Jahren waren ethnopluralistischen Theoreme noch stark biologisch konnotiert. Man propagierte die Sache der «weissen Rasse» und begrüsste zum Beispiel die Intelligenzforschung, die Unterschiede zwischen verschiedenen «Rassen», «Ethnien» oder Kulturen festzustellen glaubte. Kurzum: Der begriffliche und strategische Ablösungsprozess de Neuen Rechten von ihren alten Kameraden brauchte Zeit. Und so fand dieser harmlos klingende Ethnopluralismus als eine Spielart des Neo-Rassismus seinen Weg bis in die Mitte der Gesellschaft.
In diesem ethnopluralistischen Weltbild haben Kulturen einen intrinsischen Wert. Sie bewerben dabei die Idee des «Rechts auf Differenz» und der «Vielfalt der Völker». Man befürwortet zumindest vordergründig die nationale Unabhängigkeit anderer Ethnien und respektiert die Traditionen anderer Kulturen, zieht dabei aber den Schluss, dass dies ebenfalls für «europäische Kulturen» gelte, wendet also das Recht auf Differenz gegen die Migranten selber. Migration und Globalisierung treten in neurechter Perspektive insofern als Zerstörer von kultureller Identität und Traditionen der europäischen Völker auf. Dieser Vorstellung liegt ein homogener, ahistorischer und statischer Kulturbegriff zugrunde. Wir haben es hier also mit einer klugen Verschleierung von Rassevorstellungen zu tun, die in der Gesellschaft auf wenig Ablehnung stossen. Und tatsächlich inszenieren sich die Neuen Rechten auch - wie Alain de Benoist, der Cheftheoretiker und Kopf der französischen Nouvelle droite vorführt - als Anti-Rassisten, da sie die Vielfalt der Völker erhalten wollen würden. Einwanderung führe aber, so de Benoist, zur Zersetzung der ethnischen Substanz und somit zu einer Vielfaltreduktion. Die Reinhaltung der Rasse wird in dieser Argumentation abgelöst durch ein Plädoyer für homogene Ethnien und Nationen.
Das Problematische an de Benoists Ausführungen ist unter anderem sein Verständnis von Vielfalt. Es ist nicht ersichtlich, warum Vielfalt mit Einfluss anderer Kulturen abnehmen sollte. Kulturen waren schon immer Ergebnisse von Hybridität, von interkulturellen Wechselwirkungen. Dass die «nationale Kultur» eine Erfindung von Nationalisten war, konnte die Nationalismusforschung aber bislang kaum erfolgreich abseits der Akademie verankern. François Jullien zum Beispiel verwahrt sich gegen die Verschränkung von Identität und Kultur und plädiert in seinem Buch «Es gibt keine kulturelle Identität» stattdessen dafür Kultur als nicht-exklusive Ressource zu verstehen. Der Kern des von de Benoists Rassismus besteht also darin Kulturen als natürlich gewachsene, homogene und ahistorische Einheiten zu verstehen. In de Benoists politischen Axiomen ist Kultur eine essenzialistische Kategorie, die gleich funktioniert wie schon das Konzept der «Rasse».
Die neuen diskursiven Formen des Rassismus operieren also wie die neurechte Diskursverschiebung zeigt oft auf der Basis von unterschwelligen Andeutungen. So wird eigentlich bei den Neuen Rechten das in der Öffentlichkeit gut zu bewerbende und an anti-rassistische Diskurse anschlussfähige «Recht auf Differenz» eine eigentliche «Pflicht zur Differenz», wie der Sozialwissenschaftler Terkessidis feststellt. Was trotz aller rhetorischen Tricksereien bleibt, ist immer die normative Aufforderung zur Erhaltung einer ethnischen oder kulturellen Substanz. Anders als militante neo-nazistische Rechtsextreme applaudierte de Benoist dem Slogan «black power», ergänzte aber, dass eben auch «yellow power», «red power» – und auch «white power» brauche. Diese perfide Adaptivität der Neuen Rechten entblösst ihre politische Vision: Eine Welt, in der Vielfalt eine bestimmte Anzahl von homogenen «Rassen» bedeutet, die ihre kulturellen Traditionen pflegen und sich nicht mischen.
An diese Zukunftsvision knüpft etwa auch die mit jugendlichem Stil und aufsehenerregenden Aktionsformen auftretende Identitäre Bewegung an, wenn sie von einem angeblichen Elitenprojekt eines Austausches der «einheimischen» europäischen Bevölkerung mit Migrierten fantasiert. Diese Argumentationsfigur lässt sich in einer ursprünglichen Form schon in den 1960er Jahren in den Schweizer Überfremdungsdiskursen finden und belegt die Pionierrolle des Schweizer Rechtspopulismus in der strategischen und rhetorischen Transformation des rechten Lagers nach 1945.
Die Anpassungsfähigkeit der Neuen Rechten zwingt uns zu einer gedanklichen Auseinandersetzung, die auf deren essenzialistischen Fallstricke angemessen reagieren kann. Um diesen rhetorischen Strategien theoretisch begegnen zu können, reicht es nicht aus die Rassismusdefinition auf eine Hierarchisierung von «minderwertigen» und «höherwertigen» Kulturen oder auf Diskriminierung in Wort und Tat zu beschränken. Denn gegen aussen lehnt die Neue Rechte zumindest vorgeblich eine solche Hierarchisierung und Diskriminierung aufgrund kultureller Merkmale ab. Vielmehr ist es eben schon rassistisch, sich die Welt in «Rassen» (oder anderen essenzialistischen Substitutionsbegriffen) zu denken.
Einfallstor für neurechte Ideen
Die neurechte Diskursverschiebung manifestierte sich anschaulich im Abstimmungskampf zur Anti-Rassismus-Strafnorm Anfang der 1990er Jahre. Neurechte Gruppen in der Schweiz bekämpften das Gesetz, indem sie das Referendum ergriffen als der Nationalrat sich anschickte die UN-Konvention gegen Rassendiskriminierung zu unterzeichnen. Die Schweizer Neuen Rechte, vertreten etwa durch den Gründer der Abendland-Zeitschrift Heinrich Meier oder Protagonisten aus der Nationalen Aktion (später Schweizer Demokraten), übernahm damit eine Vorreiterrolle in der Formierung der Gegenkampagne, die offene Rechtsextreme und Antisemiten bis hin zu lokalen Initiativen und Einzelpersonen mit oder ohne Parteibindung miteinschloss. Ferner lieferte die Neue Rechte das entscheidende Narrativ bei der Bekämpfung der Anti-Rassismus-Strafnorm, welches das Gesetz gekonnt als Beschneidung der Meinungsfreiheit uminterpretierte. In ihrer Sorge um die kulturelle Identität des Schweizer Volkes monierten sie, dass die Bundesbehörden die Schweiz sozusagen zwangsmultikulturalisieren wollten, indem sie den Ausländeranteil erhöhen und so den «Überfremdungsgrad» steigern würden. Doch damit nicht genug, in Zukunft werde man Schweizer und Ausländer sogar gleichstellen, empörten sich die Gegner des Gesetzes mit einer nonchalanten Selbstverständlichkeit. Die Abstimmung zur Anti-Rassismus-Strafnorm erfolgte dann 1994 und wurde vom Stimmvolk nur knapp mit 54% angenommen. Trotz der Niederlage eine beachtliche Mobilisierung der Stimmbürger durch die Neuen Rechten.
Die Essenzialisierung von Kultur beziehungsweise die Kulturalisierung aller gesellschaftlichen Sphären ist ein Problem, das bis heute noch weithin Verbreitung findet. Die Geschichte der Schweizer Abstimmungskampagnen bietet sozusagen exemplarisch und paradigmatisch unzählige Belege in diese Richtung. Im Laufe der diskursiven Verschiebung von «Rasse» zu anderen Identitätsbegriffen ist Kultur zur Ordnungskategorie schlechthin avanciert. Kaum ein Phänomen, das nicht durch eine kulturelle Brille betrachtet und mit einem «kulturellen Aspekt» erklärt wird - ausser der eigenen Person beziehungsweise des eigenen Landes. Dieser Umstand zeigt, dass der Diskurs über Kulturen politisch nicht unschuldig ist. Eigene individuelle oder nationale Missetaten oder Verbrechen werden nicht mit einer kulturellen Essenz erklärt. Der kulturelle Blick trifft vor allem die Anderen.
Dadurch, dass der Kulturbegriff in der breiten Öffentlichkeit als völlig unproblematisch perzipiert wird, wird die Gefahr, die von den Metamorphosen und der Anpassungsfähigkeit des Rassismus ausgeht, unbeachtet gelassen. Gerade die Neue Rechte drängt in die Mitte der Gesellschaft und betreibt rechte Diskursverschiebung, indem sie ihre eigenen Ideen von «kultureller Identität» in die Debatten einpflanzt. Rassismus war nie nur eine Angelegenheit des rechtsextremen Randes, aber gemässigt erscheinende Neue Rechte dringen mit ihrer ethnopluralistischen Logik bis in die Mitte der Gesellschaft vor. Ein harmlos daherkommender essenzialistischer Kulturbegriff öffnet dabei ihren Zielen Tür und Tor.
Zum Autor
Cenk Akdoganbulut ist Assistent am Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. Seine Dissertation handelt von Armin Mohler und der «Konservativen Revolution». Er forscht zu den Themen Neue Rechte, Migration, Rassismus, Intellectual History und soziale Bewegungen. Er ist Vorstandsmitglied im Institut Neue Schweiz (INES).
Literatur
Cenk Akdoganbulut, Überfremdungsdiskurse und migrantischer Widerstand in der Nachkriegsschweiz, in: Francesca Falk: Der Schwarzenbach-Effekt, Zürich 2022, 21-36.
Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main/New York 1988.
Etienne Balibar, Gibt es einen «Neo-Rassismus», in: Etienne Balibar, Immanuel Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg 1998, S. 23-38.
Manuela Bojadzijev, Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster 2021.
Michael W. Fischer, Ethnopluralismus. Zur Karriere eines politischen Begriffs, in: Raimund Jakob/ Martin Usteri/ Robert Weimar (Hrsg.), Psyche – Recht – Gesellschaft. Widmungsschrift für Manfred Rehbinder, Bern 1995, S. 11-30.
Hans Fröhlich/ Bernhard Müller, Überfremdungsdiskurse und die Virulenz von Fremdenfeindlichkeit vor dem Hintergrund internationaler Migrationsbewegungen, Zürich 1995.
Roger Griffin, Interregnum or endgame? The radical right in the ‘post-fascist’ era, Journal of Political Ideologies, 5:2 (2000), S. 163-178.
François Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität. Wir verteidigen die Ressourcen einer Kultur, Berlin 2017.
Samuel Salzborn, Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten, Beltz Juventa, Weinheim, Basel 2017.
Damir Skenderovic, The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945-2000, New York 2009.
Damir Skenderovic, Die Schweiz als Avantgarde des europäischen Rechtspopulismus, 14.12. 2016, https://geschichtedergegenwart.ch/die-schweiz-als-avantgarde-des-europaeischen-rechtspopulismus/ (26.5.2022)
Pierre-André Taguieff, Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double, Hamburg 2000.
Mark Terkessidis, Kulturkampf. Volk, Nation, der Westen und die Neue Rechte, Köln 1995.
mercoledì, 14. settembre 2022
Da Asmaa Dehbi, Vorstandsmitglied INES
Diversity ist das Wort der Stunde und scheint Garant für eine gerechte und plurale Gesellschaft zu sein. Mit dem Erhalt des Swiss Diversity Awards in der Kategorie «Religion» nimmt die Preisträgerin und INES-Vorstandsmitglied Asmaa Dehbi eine kurze Einordnung des Diversitätsbegriffs vor.
giovedì, 19. maggio 2022
Da Fanny de Weck & Tarek Naguib
Fanny de Weck und Tarek Naguib diskutieren über die Möglichkeiten und Grenzen des Rechts im Kampf um ein Ausländer-, Asyl- und Bürgerrecht frei von Willkür und dafür mehr Gerechtigkeit. Dabei sind sie sich nicht immer einig, was mit einem Rechtsstreit vor Gericht erreicht werden kann und was nicht: wo seine Potenziale und wo seine Grenzen liegen? Letztlich geht es ihnen aber beiden darum, dass die Grund- und Menschenrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte und Rassismuserfahrung auch umgesetzt werden - und dafür muss gekämpft werden.
giovedì, 23. dicembre 2021
Da Institut Neue Schweiz
In diesem letzten Blog-Beitrag im 2021 geben wir einen Einblick in die vier Vernissagen zum jüngst erschienenen HANDBUCH NEUE SCHWEIZ. Uns war es wichtig, Themen aufzugreifen, die das Institut Neue Schweiz INES auch im kommenden Jahr beschäftigen werden: ein neues Bürgerrecht, eine vielstimmige Bürger:innenschaft, diskriminierungsfreie Teilhabe und eine Schweiz, die für ihr globales Handeln Verantwortung übernimmt.
venerdì, 10. settembre 2021
Da Anisha Imhasly
An einem Samstagnachmittag anfangs Juni fanden sich rund fünfzig Menschen in der Gessnerallee Zürich ein, um auf Einladung von INES unter dem Titel „Demokratie und Vielfalt in der Kultur – eine kulturpolitische Debatte“ zu erfahren, wie es um diese Vielfalt in der Kultur bestellt ist. Dies vor dem Hintergrund eines zentralen Anliegens seitens INES: Nämlich, dass sich die demografische Realität der Schweiz in seinen Institutionen – etwa in Politik und Verwaltung, Recht, Medien, Bildung und Kultur – viel stärker abbilden muss. Was hier folgt, ist eine subjektive Einordnung der Diskussionen bzw. einige weiterführende Gedanken zum Thema.
domenica, 30. maggio 2021
Da Institut Neue Schweiz und Demokratische Juristinnen und Juristen Zürich
In der Schweiz können seit je her Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, ausgeschafft werden. Nur weil sie den Schweizer Pass nicht besitzen. Mit Annahme der Ausschaffungsinitiative und Verschärfungen im Bürgerrecht hat sich die Situation noch mehr verschlechtert. Rechtsanwalt Babak Fargahi, Filmhistorikerin Marcy Goldberg, Buket Bicer-Zimmermann, Schwester eines in die Türkei ausgeschafften Secondo, und Ständerat Paul Rechsteiner haben am 24. Mai 2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Kosmopolitics über diese Missstände gesprochen. Hier kann das Video angesehen werden.
venerdì, 30. giugno 2023
Da Tarek Naguib
Um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, braucht es laut INES eine verfassungsrechtliche Regelung, welche ein Gesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung und Förderung der Gleichstellung verlangt. In diesem Sinne entwickelte INES-Co-Geschäftsleiter und Jurist Tarek Naguib eine Vorlage für ein Rahmengesetz zur Bekämpfung jeder Form von Diskriminierung.
lunedì, 16. gennaio 2023
Da Institut Neue Schweiz
Eine Runde der Schweizer Think-Tanks und Foresight Organisationen ist 2022 zusammengekommen, um über die Herausforderungen für die Demokratie zu diskturieren. Das Treffen fand auf Einladung der Stiftung Mercator Schweiz und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft statt. Ziel war es, offensichtliche wie verborgene Entwicklungen zusammenzutragen sowie konkrete Massnahmen zur Stärkung und Entwicklung der Demokratie der Schweiz zu identifizieren.
venerdì, 1. maggio 2020
Da INES Istituto Nuova Svizzera
La pandemia del coronavirus non è solo una crisi sanitaria, ma anche sociale ed economica. Molte persone sono minacciate dalla disoccupazione, dipenderanno dall'aiuto sociale e dovranno indebitarsi, anche in Svizzera. Ciò ha enormi conseguenze finanziarie e sociali, ma anche - cosa che molti non sanno - legali. Il criterio dell'"integrazione economica" svolge un ruolo decisivo nelle decisioni relative al permesso di residenza e alla naturalizzazione. La pandemia del coronavirus è quindi una minaccia esistenziale per molte persone. Ciò riguarda potenzialmente un quarto della popolazione residente che non ha la cittadinanza svizzera, ma che sostiene e contribuisce a costruire il paese quotidianamente.
mercoledì, 14. settembre 2022
Da Asmaa Dehbi, Vorstandsmitglied INES
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venerdì, 10. settembre 2021
Da Anisha Imhasly
An einem Samstagnachmittag anfangs Juni fanden sich rund fünfzig Menschen in der Gessnerallee Zürich ein, um auf Einladung von INES unter dem Titel „Demokratie und Vielfalt in der Kultur – eine kulturpolitische Debatte“ zu erfahren, wie es um diese Vielfalt in der Kultur bestellt ist. Dies vor dem Hintergrund eines zentralen Anliegens seitens INES: Nämlich, dass sich die demografische Realität der Schweiz in seinen Institutionen – etwa in Politik und Verwaltung, Recht, Medien, Bildung und Kultur – viel stärker abbilden muss. Was hier folgt, ist eine subjektive Einordnung der Diskussionen bzw. einige weiterführende Gedanken zum Thema.
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